Sonntag, 18. Dezember 2011

GENF: La tradition de l'Escalade ODER Gemüsesuppe für alle

Es ist Dezember und Genf steht Kopf. Doch nicht weil es weihnachtet, sondern weil es Zeit ist für l'Escalade.
Das jährlich stattfindende Fest erinnert an die erfolgreiche Verteidigung der Stadt Genf gegen Karl Emanuel von Savoyen in der Nacht vom 11. zum 12. Dezember 1602. Zwar hatten die Savoyardischen Soldaten bereits die Stadtmauern überwunden, doch wurden sie - der Legende nach - von einer kämpferischen Einwohnerin namens Mère Royaume mit kochend heißer Gemüsesuppe übergossen und so letztendlich doch noch vertrieben.

Bereits am Wochenende vor dem eigentlichen Abend beginnen die Festlichkeiten mit der Course de l'Escalade. Ein Lauf, bei dem die Teilnehmer, je nach Kategorie, zwischen 2 und 8 Kilometern durch die Altstadt rennen. Die komplette Genfer Innenstadt ist gesperrt. Riesige Tribünen, meterhohe Leinwände und unzählige Essensstände sind im Parc des Bastions (gleich neben den Indignés von letzter Woche) aufgebaut worden. 


Parc des Bastions während der Course de l'Escalade

Place Neuve im Stadtzentrum mit dem Opernhaus im Hintergrund

Schon am späten Vormittag scheint die ganze Stadt auf den Beinen, denn eines der Highlights ist der früh stattfindene Lauf aller Genfer Schulen. Alle paar Minuten hört man den lauten Startschuss, wenn sich die nächste Gruppe auf den Parcour begeben hat. Unter lautem Jubel und den Anfeuerungsrufen des Kommentators, dessen Stimme aus den großen Lautsprecher hallt, kommen die kleinen Läufer schließlich im Ziel an. Zwar sieht man erstaunlich viele der Kleinen am Rand bitterlichst weinen, aber das sind hoffentlich nur kurzfristig enttäuschte Läuferträume. Am späten Nachmittag gibt es dann noch einen 3 Kilometer-Lauf, bei dem sich alle Läufer, große und kleine, möglichst kreativ verkleiden müssen. Insgesamt sind es in diesem Jahr fast 25 000 Teilnehmer gewesen!
Übrigens hat man wohl herausgefunden, dass die "Course de l'Escalade" wesentlich mehr für die Gesundheit und Fitness der Genfer tut als alle subventionierten Sportprojekte der Schweizer Regierung zusammen.  

Damit nach dem Lauf auch kein Kind verloren geht, werden die Kinder ihrem Namen entsprechend zugeordnet :-)
Eine Woche später geht es bereits am Freitag wieder los. Die Genfer Oberschüler starten ins Wochenende, in dem sie sich auf dem Weg zwischen Schule und der Innenstadt mit Rasierschaum, Eiern und Mehl bewerfen ... was genau das mit der Escalade zu tun hat, konnte mir allerdings niemand so richtig erklären.
Am Sonntag Nachmittag dann endlich der Höhepunkt: die große Parade. Über drei Stunden zieht ein Umzug mit mittelalterlich gekleideten Menschen, mehreren Pferden, alten Kriegsgeräten und kleinen Blaskapellen durch die Stadt. In der Altstadt verkaufen die Restaurantbetreiber Glühwein, Crèpe und natürlich die obligatorische Gemüsesuppe von Mutter Royaume an provisorisch aufgebauten Ständen. 

Ohne Anstehen geht an diesem Nachmittag gar nichts
Der Platz vor St. Pierre ist überfüllt mit Leuten und jeder scheint heute einmal froh darüber, dass es nicht so kalt ist wie in den vergangenen Jahren. Nachdem einer der Reiter die Geschichte der l'Escalade noch einmal vorgetragen und die Menge die inoffizielle Hymne des Kantons Genf "Cé qu'è lainô" gesungen hat (siehe Video unten), endet das Highlight im Genfer Veranstaltungskalender mit einem großen Feuer, viel Gesang und noch mehr Glühwein.




P.S.: Weitere Tradition der l'Escalde ist das Zerschlagen der Marmite (dt.: Kochtopf) aus Schokolade - das natürlich auch an die Bedeutung der Suppe erinnert. Schon Wochen vor dem Fest sind die Schaufenster der zahlreichen Chocolatiers voll mit den süßen Gefäßen


Die Schoko-Töpfe gibt es in den unterschiedlichsten Größen, die ganz Großen (leider nicht auf diesem Bild) sind bis zu 50 cm hoch und kosten weit über 100 Franken

Traditionell müssen der/die Älteste und der/die Jüngste aller Anwesenden mit den Worten "Ainsi périssent les ennemis de la république" (dt.: "So kommen die Feinde der Republik um") die Marmite gemeinsam zerschlagen ...

... so auch geschehen in meiner WG :-)

Dienstag, 13. Dezember 2011

KURZ&KNAPP - Der Film "The Whistleblower"

Manchmal geht es auch ein wenig kürzer ... ob Beobachtungen, Wissenswertes oder Empfehlungen. All das gibt es in Zukunft unter der Rubrik KURZ&KNAPP.

Bosnien, 1999: Während ihrer Zeit in der International Police Task Force deckt die amerikanische Polizistin Kathryn Bolkovac einen unglaublichen Fall von Menschenhandel auf. Auch UN- Soldaten sind darin verstrickt. Doch aus Angst vor einem Skandal wird werden die Hinweisen der Polizistin ignoriert. 

Gerade in einer Stadt wie Genf, wo sich an jeder Ecke internationale Organisationen und NGOs befinden, sollte die Arbeit und der Nutzen solcher Vereine manchmal kritisch beleuchtet werden - so passiert am vergangenen Samstag, dem offiziellen Tag der Menschenrechte, während einer Vorführung von "The Whistleblower" und der anschließenden Diskussionsrunde mit der echten Kathryn Bolkovac. Wie sie berichtete, ist bis heute keiner der Schuldigen zur Rechenschaft gezogen worden, denn UN- Soldaten genießen juristische Immunität.

Ein Film im Spannungsfeld zwischen notwendiger Intervention, moralischer Verantwortung und der Scheinheiligkeit eines ganzen Systems. Ein Film für den man starke Nerven braucht, der einen am Wesen des Menschen zweifeln lässt und der doch gerade deshalb besonders sehenswert ist.  





Freitag, 9. Dezember 2011

GENF: Un vieux sage ODER die Empörung der Jugend

Indignez-vous! Empört Euch! Cry Out!
Egal in welcher Sprache, der Inhalt bleibt der gleiche und die Botschaft kommt an.

Der Titel seines Essays "Indignez-vous", in dem er sich gegen Finanzkapitalismus und für Pazifismus ausspricht, hat Stéphane Hessel im letzten Jahr zur Leitfigur einer ganzen Bewegung werden lassen. Mit dem Aufruf an die junge Generation sich endlich zu erheben und das kollabierende Gesellschaftssystem nicht länger hinzunehmen hat der 94-Jährige mitten in der Finanz- und Eurokrise den Nerv der Zeit getroffen. Ob bei den Indignados auf der Plaza del Sol in Madrid oder bei den Occupy-Protesten in New York, London und Paris - Hessels Leitspruch oder zumindest seine inhaltliche Botschaft ist überall.

Demonstranten in Paris ...
Quelle: http://roarmag.org/wp-content/uploads/2011/05/Indignez-vous-Bastille-2.jpg 


... und in Madrid 
Quelle: http://roarmag.org/wp-content/uploads/2011/05/Indignate1.jpg

Hessels Terminkalender ist zur Zeit ausgebucht. Jeder möchte mit dem weisen Mann, der in Berlin geboren wurde und später in der französischen Résistance gegen die Deutschen kämpfte, über die Weltlage diskutieren dürfen. Am Nikolausabend in der vergangenen Woche ist er nun an der Université de Genève gewesen.


Stéphane Hessel (vorne ganz links) an der Université de Genève

Das Auditorium ist bis auf den letzten Platz besetzt, das Publikum gemischt. Junge und Ältere, Männer und Frauen. Als Hessel den Saal betritt, geht ein Raunen durch die Reihen. Freundlich in die Runde blickend schreitet er etwas wackelig die Treppe hinunter. Eigentlich geht es heute Abend um die Bestrafung von internationalen Verbrechen vor nationalen Gerichten, doch es scheint, als warten alle nur darauf, dass er etwas zur Finanzkrise sagt. Den Gefallen tut Hessel dem Publikum an diesem Abend jedoch nicht. Er spricht über die UN-Charta der Menschenrechte, die er 1948 als Sekretär der UN-Menschenrechtskommission mitgestaltet hat, und über die gesellschaftliche Verantwortung diese zu verteidigen. Sein Französisch ist klar und deutlich, seine Sätze sind perfekt strukturiert und durchdacht und dabei spricht er komplett ohne Notizen. Nach wenigen Minuten erheben sich die ersten von ihren Sitzen, um diesem kleinen etwas zerbrechlich wirkenden Mann klatschend Tribut zu zollen.

Der Aufruf kommt an

Nur einen Kilometer Luftlinie vom Uni-Gebäude entfernt hat die Gruppe "Occupy Geneva" im Parc des Bastions seine - im wahrsten Sinne des Wortes - Zelte aufgeschlagen. Die Formierung "eines alternativen Systems basierend auf den menschlichen Grundwerten" haben sie sich zur Aufgabe gemacht, wie in ihrer, sehr professionell gestalteten, Broschüre zu lesen ist.


Broschüre der "Occupy-Geneva" Bewegung

Nachdem das Camp die ersten Wochen eher nach einer Ansammlung von Obdachlosenunterkünften aussah, scheint es mittlerweile sehr organisiert. Eine Tafel kündigt die täglichen Veranstaltungen an, es gibt einen Informationsstand und auch am Stadtleben wird sich beteiligt. Am letzten Samstag wurde zum Beispiel während eines Stadtlaufes, dem Course d'Escalade -  mehr dazu in der nächsten Woche - kostenlos Suppe verteilt. Außerdem gibt es jeden Tag um 20.00 Uhr ein Treffen im großen Zelt.
(Anm.d.Red.: Aber Ausnahmen bestätigen die Regel, denn als ich heute Abend daran teilnehmen wollte, um Euch Genaueres zu berichten, fand das Treffen ausgerechnet heute nicht statt.)

Im großen Zelt finden die regelmäßigen Zusammenkünfte statt


Informationsstand und Suppenküche

Am Abend vor seinem Vortrag an der Uni Genf ist auch Stéphane Hessel bei den "Empörten" im Parc des Bastions gewesen und hat empfohlen, vor allem einen engen Kontakt mit den Occupy-Bewegungen in den anderen Städten zu halten, um gemeinsam die gesetzten Ziele zu erreichen. 
Einen Rat, den die Genfer Aktivisten bei der Autorität und Weisheit, die dieser Mann in seinem hohen Alter ausstrahlt, sicherlich beherzigen werden.

Stéphane Hessel am 5. Dezember 2011 bei "Occupy Geneva"
Quelle: http://www.occupygeneva.ch/rencontre-avec-hessel-5-decembre#more-4286 


Montag, 28. November 2011

GRAN CANARIA: L'autre côté de l'île ODER Leben in Las Palmas

Billige all-inclusive Hotels, lärmende Sauftouristen und das schöne Wetter als einziges Highlight - ein gutes Image sieht anders aus.  Doch eine weltbekannte Segelregatta, eine engagierte Architektin und ein Konzerthaus direkt am Meer zeigen eine andere Seite Gran Canarias.
Ein Sonntag in der Inselhauptstadt Las Palmas:

11.00 Uhr, Av. de Canarias  
Es scheint als würden große weiße Schaumkronen auf den blauen Wellen tanzen und sich dabei immer mehr gen Horizont bewegen, wo sich das Blau des Wassers mit dem des Himmels vermischt ... doch was aussieht wie ein Naturschauspiel sind in Wirklichkeit die mehr als 200 Segelboote, die an der Atlantic Rally for Cruisers 2011 teilnehmen. Schon seit 1986 gibt es die Regatta für Profi- und Amateursegler. Dabei wird die Notwendigkeit, die Schiffe in ein wärmeres Winterdomizil zu bringen, mit dem Spaß am Wettkampf verbunden. Jedes Jahr Ende November, wenn die Passatwinde einsetzen, verlassen die Boote den Hafen von Las Palmas und segeln nach Saint Lucia vor der Küste Südamerikas. Wie immer ist die Mole im Hafen voll mit Menschen, die die Segler verabschieden. Je nach Boot werden zwischen 12 und 24 Tagen benötigt, um die circa 2700 Seemeilen zurückzulegen.

 
Je näher man Las Palmas kommt, desto mehr füllt sich der Ozean

Angehörige der Segler, Touristen und Einheimische - alle wollen sich verabschieden
Quelle: http://www.sy-maunalua.ch/wp-content/uploads/2011/11/wpid-2011-11-13-12.19.02.jpg 
14.00 Uhr, La Vegueta
Hinter der Kathedrale Santa Ana beginnen die Marktleute gerade ihre Stände abzubauen. Frisches Obst, bunter Schmuck und handgefertigte Ledertaschen verschwinden nun in Kisten. Die Folkloregruppe auf dem kleinen Platz lässt sich von der Aufbruchstimmung jedoch nicht anstecken und singt, tanzt und spielt munter weiter. 




Blick auf Las Palmas vom Turm der Kathedrale
Auf der anderen Seite des imposanten Gotteshauses, mitten in La Vegueta, der Altstadt von Las Palmas, wohnt die Architektin Marta Sanjuan mit ihrem Mann und ihren vier kleinen Kindern in einem Haus aus dem 16. Jahrhundert: "Alte Häuser haben eine Seele, sie verbinden uns mit der Geschichte und man entdeckt versteckte Schätze, die man neu interpretieren muss". Die Wohnräume der Familie gehen auf zwei Stockwerken von einem Innenhof ab, in dessen Mitte eine schmale Palme in den Himmel ragt. "Ich arbeite besonders gerne in alten Häusern, denn die Hölzer und Steine werden im Laufe der Jahre einzigartig", begründet die 40-jährige ihre Wahl, sich für genau dieses Haus als Eigenheim entschieden zu haben.  

Der Mittelpunkt des Hauses: der Innenhof

Viele gemütliche Ecken laden zum Verweilen ein 

"Vintage-Möbel, moderne Lampen und puristische Wände", so beschreibt die Architektin ihren Stil. 

Liebevoll ausgewählte Details geben der Einrichtung eine persönliche Note
An ihrer Heimatstadt Las Palmas mag Marta nebem dem schönen Wetter, dem hellen Licht und dem blauen Himmel vor allem ihre Vielfältigkeit: "Man kann kilometerweit mit dem Fahrrad entlang der Küste fahren, einen entspannten Tag am Strand verbringen oder in einer der kleinen Tapas-Bars köstliches Essen genießen". Außerdem schätzt sie die Unterschiedlichkeit der Einwohner.  "Schon seit Jahrhunderten haben Engländer, Inder, Koreaner und Afrikaner hier ein neues Zuhause gefunden". Diese bunte Mischung "zusammen mit den Touristen, die kommen und gehen" macht die offene und tolerante Atmosphäre aus.   

19.00 Uhr, Playa de las Canteras
Das Wochenende neigt sich dem Ende und man flaniert über die Strandpromenade von Las Canteras. Eben haben die Wahllokale  geschlossen. In Spanien vollzieht sich "el cambio" (der Wechsel von einer sozialistischen zu einer konservativen Regierung). Doch das scheint hier nur wenige zu interessieren, obwohl dieses Mal sogar Las Palmas' ehemaliger Bürgermeister Chancen auf einen Ministerposten hat. Über die Fernseher in den Restaurants flimmern aber nur die sonntäglichen Fußballspiele.

Blick von der Strandpromenade auf den Teide, den höchsten Berg Teneriffas

Futuristische Straßenlampen säumen die Promenade, an deren Ende sich das 1997 gebaute Konzerthaus Auditorio Alredo Kraus erhebt. Sogar die Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle haben hier schon gespielt. Überhaupt scheint das kulturelle Leben der Stadt im Aufbruch. "Allein in Vegueta haben wir vier verschiedene Theater, mehrere Galerien und das Atlantic Center of Modern Art", bestätigt auch Marta Sanjuan diesen Eindruck.

Nicht nur Klassik- sondern auch Popkonzerte finden in dem ungewöhnlichen Gebäude statt 
Quelle: http://www.spanien-newsletter.de/fileadmin/user_upload/ausgabe-2008-dezember/019gc-gran-canaria-las-palmas-auditorio-alfredo-kraus-3500977a.jpg 

Und während die Sonne im Atlantik versinkt scheinen Billighotels und Sauftouristen meilenweit entfernt - jedenfalls aber sind es knapp 60 Kilometer, denn soweit ist es von Las Palmas bis in die Touristen-Hochburgen Playa del Inglés und Maspalomas. Eine Strecke, die inzwischen über die gut ausgebaute Autobahn in einer halben Stunde zurückzulegen ist und so ist diese Seite der Insel doch wirklich einen Ausflug wert.


Freitag, 11. November 2011

LAUSANNE: "M'arrête pas maintenant" ODER fröhliches Liederraten

Sie war mehr als eine Schönheitskönigin
Von einer Filmszene
Ich sagte 'Mach dir nichts draus'
Aber was meinst du
Ich bin derjenige
Der auf dem Fußboden tanzen wird, in der Runde

 

Nein, weder bin ich unter die Poeten gegangen, noch bin ich verrückt geworden. Aber vielleicht hat es ja jemand erkannt ... ???

Richtig! Es ist der Anfang von Michael Jackson's "Billie Jean", eben nur auf Deutsch. Dass man mit dem schlichten Übersetzen englischer Popsongs sogar eine ganze Abendunterhaltungs-Show füllen kann, haben "Les Tistics" am vergangenen Samstagabend in Lausanne, (fast) am anderen Ende des Genfer Sees, unter Beweis gestellt.

LES TISTICS

Foto-Quelle: http://www.parisetudiant.com/etudiant/sortie/les-tistics-les-franglaises.html

Ganz in der Nähe der großen Kirche St. Francois mitten in Lausanne reiht sich erst seit kurzem eine neue Location in das bunte Nachtleben der Stadt: das "Lido". Nach dem berühmten Pariser Vorbild, bietet es ein vielfältiges Unterhaltungsprogramm mit Komikern, Musikern und kleinen Theaterstücken.
Der äußere Eindruck ist jedoch erst einmal nicht sehr viel versprechend: Ein unscheinbarer Eingang neben einem schäbigen Friseurladen, schon am frühen Abend lungern die Drogendealer vor der Tür und ausgehfeine 16-jährige in viel zu hohen Pumps balancieren unsicher das Kopfsteinpflaster der schmalen Fußgängerzone bergauf.
Doch kaum ist man die Treppe herunter, taucht man ein in eine andere Welt. Alte Kronleuchter gemixt mit 60er Jahre Papierlampen leuchten in der großen Spiegelwand. Riesige Stoffbahnen an den Wänden, Flohmarkt- ... ähm ... Vintage-Sessel zum Einsinken und leise erklingender französischer Swing verleihen dem alten Theater einen etwas maroden, aber faszinierenden Charme.  
Doch das eigentliche Motto hier ist "Comedy&Club" und so verwandelt sich der Theatersaal jedes Wochenende ab 23h in einen Club. Zu alten Klassikern (nicht Elektro! ja, so etwas gibt es noch) aus Rock 'n Roll, Soul und Funk wird bis in die Morgenstunden getanzt.

 
Francais meets Anglais

Foto-Quelle: http://jullybouh.deviantart.com/art/Les-Franglaises-3-178043798

"Les Franglaises" nennt sich das neue Stück der kreativen Truppe, Les Tistics,  deren Mitglieder sich beim Improvisationstheater in Paris kennen gelernt haben. Es ist ein interaktiver Abend und das Publikum ist voll dabei. Das Spiel ist simple: Vorgetragen werden die wortgetreuen Übersetzungen englischsprachiger Lieder auf Französisch. Wer das Lied zuerst erkennt, ruft die Lösung einfach in den Raum. Da gibt es dann zum Beispiel die Uptempo- Nummer "Il faut commencer" von den Black Eyed Peas, den Musical-All-time Favourite "Ces nuits d'été" aus Grease oder den Party-Hit "Il pleut des hommes" von den Weather Girls.  

Noch mehr Beispiele und damit Ihr endlich seht, wovon ich rede:



Manchmal lohnt es sich also wirklich im Radio etwas genauer hinzuhören, denn wer sich "ich brenne durch den Himmel, Zweihundert Grad, deswegen nennen sie mich Herr Fahrenheit, ich reise in Lichtgeschwindigkeit, ich will einen Überschallmann aus dir machen" einmal auf der Zunge zergehen lässt, der kann über den einen oder anderen großen Liederschreiber der Moderne tatsächlich nur noch den Kopf zu schütteln (oder sich fragen, welches Teufelszeug dieser während des Liederschreibens genommen hat). Genauso wie der Titel dieses Beitrages ist auch das eben genannte Beispiel aus dem Song "Don't stop me now" von Queen. 

Das Konzept scheint auf jeden Fall zu funktionieren, denn auch in Deutschland gibt es für diese etwas irritierende Art, Musik darzubieten,  offensichtlich eine größere Fangemeinde, die den einen oder anderen inspiriert.





Mittwoch, 2. November 2011

GENF: La porte s'ouvre ODER der erste Eindruck

... in Bildern und Beobachtungen

Ohne "Jet d'eau" wäre es nicht Genf
Abkürzungen, Abkürzungen, Abkürzungen!!! UNO, CERN, IKRK, WHO, IAO, ISO, ITU, WIPO, WMO, WOSM, WTO, UNHCR und und und ... mehr als 25 internationale Organisationen haben sich in Genf niedergelassen. 40% der Genfer Bevölkerung sind Ausländer, die aus über 180 Nationen kommen.

Herbststimmung
In der Fußgängerzone spielt der Leierkastenmann "As time goes by", die vorbei eilenden Damen mit den Designertaschen am Arm scheint das nicht zu interessieren. Wenige Meter weiter an der Bushaltestelle bettelt eine Frau um Geld. "Bébé, bébé", murmelt sie, dabei streicht sie immer wieder über ihren Bauch. Es ist offensichtlich, dass sie sich ein Kissen unter den Pullover geschoben hat.

St. Pierre de Genève
Die Kathedrale St. Pierre liegt etwas erhöht und bildet den Mittelpunkt der Altstadt. Auf dem kleinen Platz davor dreht sich ein altes Karussell mit liebevoll verzierten Pferdchen. Direkt dahinter gibt es billige Ramschware an kaputten Marktständen zu kaufen. 

Schweizer Fahnen und die Flagge des Kanton Genf
Eine osteuropäische Touristengruppe folgt ihrer Stadtführerin laut lärmend durch die Altstadt.  Statt mit dem obligatorischen Fähnchens marschiert sie mit einer großen Stoffblume strammen Schrittes vorneweg. 

Place de Bourg-du-Four
In der Altstadt reiht sich eine moderne Kunstgalerie an die nächste. Gleich daneben das Geburtshaus von Rousseau. Aus dem oberen Stockwerk ertönt klassische Musik, jemand übt auf dem Cello.   

Kleine Gassen gibt es überall
Es riecht nach nassem Herbstlaub. Wie immer, hat sich der morgendliche Nebel erst im Laufe des Tages vollständig verzogen. Die Nachmittagssonne lässt die wenigen verbleibenden Blätter an den Bäumen orange, gelb und rot leuchten.

Im Hintergrund der Mont Salève (Frankreich)
Multikulti in der Tram: In Anzug und mit Aktentasche, den Blackberry am Ohr, bestätigt der Mann seinen Termin auf Englisch. Die Frau mit den langen künstlichen Fingernägeln und ihre Begleitung unterhalten sich in lebhaftem Spanisch. Ein Sitznachbar telefoniert wild gestikulierend auf Italienisch. Die Tür geht auf, eine Gruppe von Französisch sprechenden Schülern steigt ein. Zwei Touristinnen mit rot-grauen Wanderrucksäcken lesen in ihrem Stadtführer - er ist auf Deutsch. 
Die spinnen doch, die Genfer :-)!

 
P.S.: Für die ganz Neugierigen gibt es unter http://de.wikipedia.org/wiki/Genf die Erklärungen zu den am Anfang aufgezählten Abkürzungen.

Montag, 24. Oktober 2011

NEU DELHI: Recherche impossible ODER Indisch für Anfänger

Anm. d. Red.: Da Une Berlinoise ja nun nicht mehr ortsgebunden ist, werdet Ihr in nächster Zeit auch die eine oder andere "nicht-schweizerische" Geschichte von mir zu lesen bekommen ... und wir starten 10.000 Kilometer östlich - in Indien. 

Mein Traumberuf ist Journalistin - mit ein Grund für mich dieses Blog überhaupt zu schreiben. Für jeden Journalisten gehört eine ordentliche Recherchearbeit mit zum Job. Dass Recherche jedoch nicht gleich Recherche ist, habe ich letztes Jahr in Indien schon einmal hautnah miterleben dürfen. Zusammen mit dem Dokumentarfilmer Peter Weinert  und seinem Expeditionsleiter Wolfgang Uhl war ich auf Recherchereise für einen Film über eine indische Schmalspur-Eisenbahn im Vorhimalaya.

August 2010: Neu Dehli fiebert den sogenannten Commonwealth Games entgegen, die das erste Mal, seit ihrer Gründung 1911, in Indien stattfinden. Die indische Hauptstadt putzt sich heraus. Zwar ist das an unseren westlichen Maßstäben gemessen, nicht immer erkennbar, doch sogar die Bordsteine werden in mühevoller Kleinstarbeit mit einem neuen Tigerenten-Look ausgestattet.


Herausgeputzt?!

Tigerenten-Handarbeit
Nach dem obligatorischen Kulturschock, gibt es gleich zu Beginn die erste Lektion in indischer Recherchearbeit: Indische Ministerien sind wie „das Haus, das Verrückte macht“ aus dem Film „Asterix erobert Rom“ (http://www.youtube.com/watch?v=3L8aFkOXjb8). Zwei endlose Stunden des Wartens und Diskutierens im Hauptsitz der Northern Railways. Dann doch quer durch die Stadt zur nächsten Behörde. Wieder drei Stunden warten. Helfen kann uns dort aber auch niemand. Also wieder zurück. Die Kompetenzen scheinen hier irgendwie nicht ganz klar verteilt zu sein. Einen ganzen Tag kostet es, das Empfehlungsschreiben des Indischen Verkehrsministeriums zu ergattern, das für die Indische Botschaft in Deutschland dringend gebraucht wird.

In den Beamtenbüros bröckelt der Putz von den Wänden. Auf den Schreibtischen steht häufig nur ein Telefon. Sonst nichts. Ich frage mich, wie und was arbeiten die hier eigentlich? Service-technisch könnten sich deutsche Behörden jedoch mal etwas abgucken, denn überall schlurft sofort ein (meistens) sehr alter Angestellter in ausgebeulten Hosen herein und serviert ein Glas Wasser oder eine Tasse Tee auf einem klebrigen Tablett – ein echter Lichtblick bei 38°C Außentemperatur und 80% Luftfeuchtigkeit.


Fotografieren strengstens verboten im indischen Verkehrministerium ... Grund genug, es natürlich trotzdem zu machen

Einen Tag später, Lektion Nummer Zwei: In Indien ist es noch wichtiger als in Deutschland beim Recherchieren flexibel zu bleiben. Die Bahn, um die es in unserer Dokumentation gehen soll, braucht heute acht statt vier Stunden, weil der Zug ohne jede Erklärung mal eben drei Stunden auf den Gleisen herumsteht. Ein Kilometer ist hier irgendwie länger als bei uns und auch die indischen Uhren scheinen anders zu ticken. Unser Fahrer kommt morgens gerne mal eine Stunde zu spät und um mit Interviewpartnern zu sprechen muss man eben auch mal in einer klapprigen Seilbahnkonstruktion über eine tiefe Schlucht fahren. Umstände, unter denen man jeden noch so gut ausgetüfftelten Zeitplan gleich mal in die Tonne treten kann.


Zeit vertreiben

Nein, ich bin nicht damit gefahren! Ich gebe es zu und hoffe, dass das noch keine schlechte Journalistin aus mir macht :-)
Einmal auf die ungewohnten Gegebenheiten eingestellt, bin ich jedoch viele Tage durch wunderschöne grüne Landschaften gefahren, kilometerweit über Bahnschienen gelaufen (wie das hier übrigens sowieso alle machen, weil es die am besten befestigten Wege sind) und endlos in den Bergen herumgekraxelt, um zu entlegenen Bahnhöfen zu gelangen – immer auf der Suche nach den besten Kamerapositionen für den eigentlichen Dreh, der erst einen Monat später stattfinden wird. 

Auch das ist Indien

Die Positionen werden mit dem GPS-Gerät vermessen, um sie beim Dreh wieder zu finden

Eine Gruppe von Europäern auf Bahnschienen sorgt des Öfteren für Aufsehen - und alle wollen mit auf's Foto!

Ignoriert man die abstoßenden Müllberge und erinnert sich lieber an faszinierende Tempelbauten und das leckere Essen, dann ist Indien zwar nicht immer schön, aber immer aufregend und vielfältig. Kühe, die Verkehrsstaus verursachen, eine Spiritualität, die selbst noch in der engsten Gasse zu spüren ist, und leuchtend bunte Saris, die ihrer schmutzigen Umgebung zu trotzen scheinen. Journalistische Recherche in Indien – das ist sicherlich etwas ganz anderes als in Deutschland. Aber es sind doch eigentlich gerade die Hindernisse, die Journalisten herausfordern, antreiben und immer weiter machen lassen - ganz egal in welchem Land. Schließlich wollen wir Geschichten entdecken und erzählen und was bietet sich da besser an als ein Land voller Widersprüche?!

Freitag, 14. Oktober 2011

"QUAND UNE PORTE SE FERME, UNE AUTRE S'OUVRE"*

Ganz in diesem Sinne ist Une Berlinoise weitergezogen und geht ab jetzt mit "Hauptsitz" in Genf - der Stadt des Friedens, der UNO und des Autosalons - unter neuer Webadresse on Tour.

Ich freue mich auf viele weitere Geschichten und hoffe, Ihr bleibt dabei.

À bientôt!


*Zitat von André Gide, französischer Literatur-Nobelpreisträger 1947

Mittwoch, 25. Mai 2011

PARIS: Au revoir ODER Dieses Ende wird ein Anfang sein


161 Tage bzw. 3864 Stunden habe ich im vergangenen Jahr in Paris verbracht. Grund genug nochmal eine, wenn auch sehr verspätete, Bilanz zu ziehen.

Hier die TOP 5 der Dinge, die ich in Paris gelernt habe:

1) Minusgrade halten eine echte Pariserin nicht davon ab, in dünner Strumpfhose und Ballerinas herumzulaufen. Aus modischen Gründen habe ich es ein einziges Mal versucht, erbärmlich gefroren und es für den Rest des Winters einfach gelassen.

2) Spanische Touristen sind die neuen Asiaten ... auch wenn die Asiaten immer noch die einzigen sind, die einen eigenen Eingang zur Galerie Lafayette haben, an dem vor allem chinesisch und japanisch sprechende Kundenbetreuer sitzen. Für dieses Privileg müssen die Spanier wohl erst einmal über mehrere Jahre den Umsatz von Louis Vouitton ordentlich ankurbeln.

3) Paris ist manchmal so sehr sein eigenes Klischee, dass man am liebsten schreiend davonlaufen möchte (siehe das folgende Foto).


Notre Dame, Künstlerin mit Staffelei, ein blühender Baum und fotografierende Touristen - was will man mehr.  


4)Die Pariser Pompiers sind tatsächlich "schnell wie die Feuerwehr" (s. dritter Blogeintrag vom Oktober 2010)

5a) Französische Musik kann unglaublich gut http://www.youtube.com/watch?v=PaUI6Tvd1sA und unglaublich bescheuert sein http://www.youtube.com/watch?v=3iS8hkz4Oq8&feature=related 

5b) Die Dichte an Smartphones in der Metro lässt darauf schliessen, dass es hier wesentlich besseres Verträge gibt als bei uns ... Sehr geehrter Herr Telekom, da können Sie noch eine Menge lernen.


5c) Last but not least eine Richtigstellung der Redaktion: Das meistgespielte Lied in der Pariser Metro ist NICHT wie in einem frühreren Beitrag behauptet "La vie en rose", sondern "Those were the days my friend".

Außerdem stellen sich mir bis heute noch zwei Fragen, auf die ich bis zum Schluß keine Antwort gefunden habe:

Warum verkaufen Pariser Souvenirshops Cowboyhüte und wie bleiben Pariserinnen bei all dem Baguette und den Patisserien so schlank und zierlich (ich habe da ein spezielles Baguette/Patisserie-Verwertungs-Gen in Verdacht)?


Merci Paris! Au revoir et à bientôt!