Montag, 24. Oktober 2011

NEU DELHI: Recherche impossible ODER Indisch für Anfänger

Anm. d. Red.: Da Une Berlinoise ja nun nicht mehr ortsgebunden ist, werdet Ihr in nächster Zeit auch die eine oder andere "nicht-schweizerische" Geschichte von mir zu lesen bekommen ... und wir starten 10.000 Kilometer östlich - in Indien. 

Mein Traumberuf ist Journalistin - mit ein Grund für mich dieses Blog überhaupt zu schreiben. Für jeden Journalisten gehört eine ordentliche Recherchearbeit mit zum Job. Dass Recherche jedoch nicht gleich Recherche ist, habe ich letztes Jahr in Indien schon einmal hautnah miterleben dürfen. Zusammen mit dem Dokumentarfilmer Peter Weinert  und seinem Expeditionsleiter Wolfgang Uhl war ich auf Recherchereise für einen Film über eine indische Schmalspur-Eisenbahn im Vorhimalaya.

August 2010: Neu Dehli fiebert den sogenannten Commonwealth Games entgegen, die das erste Mal, seit ihrer Gründung 1911, in Indien stattfinden. Die indische Hauptstadt putzt sich heraus. Zwar ist das an unseren westlichen Maßstäben gemessen, nicht immer erkennbar, doch sogar die Bordsteine werden in mühevoller Kleinstarbeit mit einem neuen Tigerenten-Look ausgestattet.


Herausgeputzt?!

Tigerenten-Handarbeit
Nach dem obligatorischen Kulturschock, gibt es gleich zu Beginn die erste Lektion in indischer Recherchearbeit: Indische Ministerien sind wie „das Haus, das Verrückte macht“ aus dem Film „Asterix erobert Rom“ (http://www.youtube.com/watch?v=3L8aFkOXjb8). Zwei endlose Stunden des Wartens und Diskutierens im Hauptsitz der Northern Railways. Dann doch quer durch die Stadt zur nächsten Behörde. Wieder drei Stunden warten. Helfen kann uns dort aber auch niemand. Also wieder zurück. Die Kompetenzen scheinen hier irgendwie nicht ganz klar verteilt zu sein. Einen ganzen Tag kostet es, das Empfehlungsschreiben des Indischen Verkehrsministeriums zu ergattern, das für die Indische Botschaft in Deutschland dringend gebraucht wird.

In den Beamtenbüros bröckelt der Putz von den Wänden. Auf den Schreibtischen steht häufig nur ein Telefon. Sonst nichts. Ich frage mich, wie und was arbeiten die hier eigentlich? Service-technisch könnten sich deutsche Behörden jedoch mal etwas abgucken, denn überall schlurft sofort ein (meistens) sehr alter Angestellter in ausgebeulten Hosen herein und serviert ein Glas Wasser oder eine Tasse Tee auf einem klebrigen Tablett – ein echter Lichtblick bei 38°C Außentemperatur und 80% Luftfeuchtigkeit.


Fotografieren strengstens verboten im indischen Verkehrministerium ... Grund genug, es natürlich trotzdem zu machen

Einen Tag später, Lektion Nummer Zwei: In Indien ist es noch wichtiger als in Deutschland beim Recherchieren flexibel zu bleiben. Die Bahn, um die es in unserer Dokumentation gehen soll, braucht heute acht statt vier Stunden, weil der Zug ohne jede Erklärung mal eben drei Stunden auf den Gleisen herumsteht. Ein Kilometer ist hier irgendwie länger als bei uns und auch die indischen Uhren scheinen anders zu ticken. Unser Fahrer kommt morgens gerne mal eine Stunde zu spät und um mit Interviewpartnern zu sprechen muss man eben auch mal in einer klapprigen Seilbahnkonstruktion über eine tiefe Schlucht fahren. Umstände, unter denen man jeden noch so gut ausgetüfftelten Zeitplan gleich mal in die Tonne treten kann.


Zeit vertreiben

Nein, ich bin nicht damit gefahren! Ich gebe es zu und hoffe, dass das noch keine schlechte Journalistin aus mir macht :-)
Einmal auf die ungewohnten Gegebenheiten eingestellt, bin ich jedoch viele Tage durch wunderschöne grüne Landschaften gefahren, kilometerweit über Bahnschienen gelaufen (wie das hier übrigens sowieso alle machen, weil es die am besten befestigten Wege sind) und endlos in den Bergen herumgekraxelt, um zu entlegenen Bahnhöfen zu gelangen – immer auf der Suche nach den besten Kamerapositionen für den eigentlichen Dreh, der erst einen Monat später stattfinden wird. 

Auch das ist Indien

Die Positionen werden mit dem GPS-Gerät vermessen, um sie beim Dreh wieder zu finden

Eine Gruppe von Europäern auf Bahnschienen sorgt des Öfteren für Aufsehen - und alle wollen mit auf's Foto!

Ignoriert man die abstoßenden Müllberge und erinnert sich lieber an faszinierende Tempelbauten und das leckere Essen, dann ist Indien zwar nicht immer schön, aber immer aufregend und vielfältig. Kühe, die Verkehrsstaus verursachen, eine Spiritualität, die selbst noch in der engsten Gasse zu spüren ist, und leuchtend bunte Saris, die ihrer schmutzigen Umgebung zu trotzen scheinen. Journalistische Recherche in Indien – das ist sicherlich etwas ganz anderes als in Deutschland. Aber es sind doch eigentlich gerade die Hindernisse, die Journalisten herausfordern, antreiben und immer weiter machen lassen - ganz egal in welchem Land. Schließlich wollen wir Geschichten entdecken und erzählen und was bietet sich da besser an als ein Land voller Widersprüche?!

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